Referenz Kanzlei- Ausstellung mit Video und Fotogalerie: https://www.ac-steuerberater.de/kanzlei/
Mord an einer Gabel. Eine spießige Ausstellung.
Titel: locker angelehnt an Alfred Döblins Erzählung Die Ermordung einer Butterblume.
Augenscheinlich wenig Gemeinsamkeit: Erzählung über einen Paranoiden, der Unkraut
vernichtet, und Objektkunst.
Aber so unterschiedlich Döblins niedergemetzelte Butterblume und Marco Books erlegtes
Silberbesteck auch sind: Aufmerksamkeit auf Randerscheinungen. Dingelchen, die lange Zeit
überall präsent waren, inzwischen aber aus dem Alltag und unserem Bewusstsein verschwinden.
Nicht zimperlicher als der Döblinsche Butterblumenmörder beim Umgang mit seinem
Ausgangsmaterial: Mit Mut zur Lücke verbiegt, zersägt und zerstückelt er die wehrlosen
Besteckteile.
Herkunft: Verschachert von herzlosen Erben oder skrupellose Händler.
Book entwickelt dabei in guter alter Bildhauerart seine Ideen aus dem jeweils vorliegenden
Besteckteil. Sein Mordwerk präsentiert der Serientäter nun frech in aller Öffentlichkeit: Er zeigt
uns tiefe Schnitte in Löffelbäuche, in Metall eingezwängte Messerhälse und bis zur
Unkenntlichkeit zerstörte Gabelköpfe. In Mafiamanier: Füße der Bestecke in Beton gegossen,
endlose Geiselhaft in engen, stickigen Glasarchiven.
Paradox: Meuchelmord, den Marco Book an den Besteckteilen begeht, zugleich deren
Lebensversicherung. Durch die Überführung in Kunstobjekte werden die von Uropa teuer
bezahlten und von Oma behüteten Kleinode vor einem viel schlimmeren Schicksal bewahrt:
Tod in der Edelmetallscheideanlage.
Wie Butterblumenmörder, der das Gewächs schließlich in einen Topf pflanzt und vor allen
gemeinen Blumen auszeichnet, hebt Book das missachtete Besteck auf einen Sockel und rückt
es ins Scheinwerferlicht. Der Mord an der Gabel als Esswerkzeug bedeutet zugleich seine
Unsterblichkeit als Kunstwerk.
Resultat: Ganz und gar nicht leblose Kleinskulpturen, die uns mit einem Augenzwinkern zur
Nachhaltigkeit und Besinnung auf Werte anhalten.
Begleitet werden die Besteckobjekte von Gemälden des Künstlers, die trotz der
unterschiedlichen Medien den gleichen Witz und zum Teil auch den schonungslosen Umgang
mit Bestehendem erkennen lassen.
Nach der Sonnenfinsternis – oder wie pflanze ich einen Baum
Diesen Satz schrieb Marco Book auf eine seiner Zeichnungen, die er in den ersten Augusttagen dieses Sommers als Vorstudien zu lebensgroßen Sandsteinskulpturen machte. Er hatte 14 Tage mit anderen Künstlern aus Ost und West in der Oberlausitz gearbeitet. Einen Bericht über dieses Symposium und die sich daran anschließende Ausstellung hatte der Journalist Uwe Salzbrenner – angeregt durch Marcos Skulpturen – mit folgender Gedankenkette betitelt:
Bäume
Menschen
Das dürfte Marco Book aus dem Herzen formuliert sein, denn der Baum ist zur Zeit sein bevorzugtes Ausdrucksmittel.
Mit dieser Bildchiffre kann Marco ehr viel über sich und seine Vorstellungen vom Menschen aussagen. Er tut es mit seinen Drucken,mit Malerei auf Papier und Leinwand und eben vor allem mit seinen kleinen und großen Skulpturen- Die handlichen Bronzen kombiniert er mit anderen Materialien zu erweiterten Bildbezügen der vegetativen Variationen.
Selbst die übergroße Marmorskulptur EUROMORPHOSE steht da wie ein Baum. Der Baum in meinem Garten bin ich.
So etwa hat Gerhard Hauptmann sein Lebensgefühl ausgedrückt.
Mit allem verbunden sein. Mit oben und unten. In der Erde verwurzelt. Dem Licht zugewandt. Ein metaphorisches Leben im immerwährenden Wandel des Wachstumsprozesses. So auch der Mensch.
Wie pflanze ich einen Baum.
Dieses wie ist rein rhetorisch, denn Marco pflanzte noch bevor sich der Mond vor die Sonne schob diesen Baumstein; und er meißelte den Pflanzenden gleich mit dazu.
Diese Skulptur erinnert mich an das Bild von Emil Nolde:
Der große Gärtner. So wie dieser Gärtner eins ist mit den Blumen, als wären sie und er aus dem gleichen Stoff; so sehe ich nicht das Ende des Baumes im Anfang des Menschen von Marcos Skulptur.
Mensch und Baum sind ein einziges Wesen. Gärtner und Blume unterscheiden sich nicht.
Diese Geste der liebevollen Hinwendung drückt Verantwortung für das kreatürliche Leben aus.
Wer sich so den Dingen naht, dem offenbaren sie ihren verborgenen Klang.
Innen und Außen verschmelzen im Tiegel unserer Seele zu allgemeingültigen Symbolen. Marco meißelt sie nicht nur in Stein. Jedoch sein ureigenster Ausdruck begegnet mir in seinen Skulpturen. Bei der Arbeit an ihnen ist er sehr sicher im Handhaben der im Ausbildungsberuf erlernten Mittel. Da ist der Stein als Marmor in kristallinen Strukturen, das gepresste Seegetier im Muschelkalk, der in Jahrmillionen entstandene Sandstein. Und dann ist da dieser den Steinumkreisende Blick. Er findet die im Material verborgene Form. Der erste Aufriss auf Papier. Die farbigen Linien schreiben sich fort auf dem Stein. Dann beginnt der Meißel sein tönendes Spiel. Dieses Spiel ist harte Arbeit. Stück für Stück löst sich das Material vom Block. Schritt für Schritt wird die Vision begreifbares Bild. Nur was wir sehr klar in uns sehen, können wir im Außen wiederfinden. Erlebt man Marco Book bei der Arbeit, dann erfährt man die Einheit von Idee und Material und dem, der beides arbeitend verbindet. Dabei werden auch die Oberflächen wie von selbst ertastet. Während seine wuchtigen Werkzeuge Arbeitsspuren hinterlassen, findet er zu verbleibenden Strukturen. Er belässt sie, wo es ihm wichtig erscheint. Haut zeigt sich wird verfeinert durch verschleifende Vorgänge. Der Stein beginnt so nach und nach ein verwandeltes Dasein. Sehr sicher stellt er dieses neue Wesen in den Raum und damit auch sich selbst – und uns – gegenüber. Neue Wesen – und doch ganz alte Bilder. Das diese Schöpfungen an andere Kulturen erinnern können, das liegt an derselben Quelle, aus der geschöpft wird. Der Urstoff des kollektiven Unbewussten hat eine gleiche unverfälschte Bildgestalt. So sind die verschiedene Variationen der Marmorfiguren seiner Schwangeren den Arbeiten Brancusis verwandt. Wie diese zu Beginn unseres Jahrhunderts geschaffenen Werke, gibt es Anverwandschaften zu außereuropäischen Bildwerken- Es sind die eigene Formnähe des Einfachen, die diese Künstler damals faszinierte. So entstehen auch heute Bezüge zu den abstrahierten Arbeiten aus dem Anfang der Moderne. Der aus sich selbst herauswachsende Baum, welcher auch während des Symposiums auf dem stillgelegten Herrnhuter Bahnhof entstand, schraubt sich wie eine unendliche Säule in den Raum. Diese Dynamik beschäftigte genauso die Künstler des Jahrhundertbeginns, eben Constantin Brancusi, Robert Delaunay und die Futuristen. Zuerst ein Thema der Maler und Bildhauer, ließ es in den zwanziger Jahren die Architekten verwegene Türme himmelwärts Visionieren. Am interessantesten von Marcos Werkgruppen erscheinen mir die Gestaltungen in vegetativen Rythmen. Zeugen der keltischen Vorfahren nicht unähnlich, treten sie aus der Tiefe der Zeit in unser Wahrnehmungsfeld. Wie Heuschrecken oder Grasmücken überspringen sie den Zeithorizont. Besonders die relativ kleinen Skulpturen bezaubern durch ihre Größe. Auch sie wie Teile innerhalb eines umfassenderen Zusammenhanges der natürlichen Umwelt. In einem erklärenden Gespräch hörte ich Marco Book sagen, die Wurzeln seien wichtig. Verwurzelt am richtigen Ort,zur rechten Zeit. Verwurzelt sein, um wachsen zu können. Wachsen wie ein Baum. In beide Richtungen. Nach der Tiefe zu und zur Quelle des Lichtes.
Dietrich Arlt, Herrnhut! Aachen, Herbst 99